Es ist nun exakt zwei Monate her, dass ich meine Homebase Wien auf unbestimmte Zeit verlassen habe. Seit 2.August 2018 bin ich nun unterwegs, lebe aus einem – immer noch zu schwerem – 70-Liter Rucksack. Jeder Tag ist anders, neu, zumeist voll mit Entdeckungen, Begnungen und Überraschungen. Der Grundrhythmus meines Lebens ist nun eine sich wiederholende Abfolge von Ankommen, ein wenig Bleiben und Weiterziehen. Ein physisches und emotionales Zigeunerinnentum. Es ist eine ganz eigene Dynamik, aus der sich nun langsam -und das ist sehr spannend zu beobachten – wiederkehrende Muster abzeichnen.
Der Plan war, keinen Plan zu haben. Ich habe kein Rückreiseticket, meist nur ein in vielen Ländern als Einreiseformalität erforderliches Weiterflugticket. That‘s it. Viel mehr fixe Planung habe ich nicht, sondern entscheide vielfach spontan, wohin und wann es weitergeht. Trust the process. Und genau daraus stellen sich dann ein paar durchaus interessante Fragen:
Warum verlässt man die Insel und das Meer, das man so sehr liebt, um danach in den Dschungel weiterzureisen? Und warum verlässt man den Dschungel nach ein par Tagen, wo man ihn doch schon einen Tag nachdem man wieder draußen ist, vermisst?
Ich habe viele, aber keine konklusive Antwort darauf. Vielleicht ist es, weil ich mich dazu entschieden habe, eine Zeit lang zu wandern. Vielleicht werden Momente kostbarer, wenn man weiß, dass man weiterzieht. Und ganz sicher gibt es etwas zu spüren und zu lernen.
Das Ankommen an einem neuen Ort ist paradoxerweise meist der worst part der Trilogie. Es geht zuerst immer um die very Basics frei nach Maslow: Wo ist der Platz, wo ich übernachten werde? Wo gibt es ein sauberes Klo, Wasser zum Zähneputzen, einen heißen Tee? Erst mal das Nötigste aus dem Rucksack räumen – Waschbeutel, Stirnlampe, Ladekabel, Mückenschutz, den dünnen Seidenschlafsack, den ich als Decke verwende, Sportschuhe gegen Flip-Flops tauschen.
Mittlerweile weiß ich, dass ich im Normalfall am ersten Tag an einem neuen Ort eher down bin. Ich frage mich, warum ich überhaupt weitergezogen bin. Ich vermisse den Platz, den ich gerade verlassen habe und noch mehr die Menschen. Freunde, die mich berührt haben, die auch weitergezogen sind oder eben an ihrem Zuhause geblieben sind. Ich habe noch keinen geistigen Lageplan, wieder nur ein neues weißes Blatt Papier. Ich gehe ins Wasser und finde es gar nicht so schön, Schnorcheln ist na ja (weil man natürlich just an der falschen Stelle reingeht), die Strömungen sind unbekannt, ich bin vorsichtig.
Mit etwas Glück treffe ich beim Abendessen eine nette Runde, die gleich fragen, ob man nachher nicht noch auf ein Bier mitkommen mag. Es folgt ein netter Abend, plauern, Reisestories austauschen. Und mit etwas Pech reisen dann alle am nächsten Morgen ab. So geschehen in meinem ersten Quartier in Bunaken. Traveller blues auf der Veranda. Nachdenken, nachfühlen wie es mir geht? Dieser scharfe Rhythmuswechsel zwischen Ankommen, Bleiben und Weiterziehen ist emotional durchaus auch fordernd. How long am I gonna stay this time?
Next level: ich packe mich zusammen, vergrößere meinen Aktionsradius, schnappe meine Kamera und gehe jalan jalan – einfach mal spazieren. Und dann dauert es nicht lange, bis Dich ein neuer Ort mit seinem Zauber gefangen nimmt. Katzen, die mauzend auf Dich zukommen und Spielen einfordern, Sonnenlicht, das Muster ins Grün zeichnet. Plötzlich sitzt Du im warmen Schatten, schaust Mädels zu, die ansteckend kichernd einen Tanz einstudieren, hast 2 spielende Katzenkinder am Schoß und denkst Dir – jawoll. Gut is.
Und neben allen täglich neuen Entdeckungen spielt sich sehr schnell eine Routine ein, entstehen kleine Sicherheiten: im Halbschlaf schon zu wissen, worauf ich mich beim Frühstück freue. Durch einen Ort zu ziehen und alle paar Hundert Meter WLAN zu haben, weil sich bekannte Netzwerke automatisch verbinden. Wissen, in welchen Ecken die Sonne und der Schatten zu welcher Tageszeit am angenehmsten sind. Revier markieren und von der verwaisten Nachbarveranda eine Wäscheleine stibizen um frisch gewaschene Wäsche aufzuhängen. Aufwachen bei Sonnenaufgang, tramhapert einen early morning tea holen und den Tag kommen lassen. Es sind Banalitäten, die zu wichtigen trittfesten Steinen im Fluss des Reisens werden.
Was es dann wirklich speziell macht sind die Menschen. Menschen, die man schon mal gesehen hat. Mehr und mehr Gesichter, die Namen bekommen. Und dann Menschen, über die Du einfach stolperst und sehr schnell einen Draht findest. Menschen, auf die Du Dich schon freust. Blödeln, relevante Gespräche fern von Eckdaten-Blabla oder auch einfach gemeinsam an einem feinen Platz den Erlebnissen des Tages nachhängen. Besondere, kostbare Begegnungen, über die an anderer Stelle viel zu sagen wäre.
Can you book a transfer for me, please?
Nach einer Woche mehr unter als über Wasser, Tagen und Nächten im Dschungel, nach einem Einklinken in den Rhythmus eines Platzes, kommt dann irgendwann der Punkt, wo ich beschließe weiterzuziehen.
Natürlich stellt sich die Frage, warum ich nicht bleibe, wenn es so fein ist? Bei zwei Plätzen habe ich mich ernsthaft gefragt, ob ich noch bei Sinnen war, als ich abgereist bin. Es ist wohl auch noch ein gewisser Automatismus à la: jetzt hast Du gesehen und gemacht, weshalb Du hierhergekommen ist. Oft verlängere ich dann noch 1 oder 2 Tage, aber dann buche ich meinen Transfer und mache es fix.
Der Reiz des Weiterziehens, Neugier. Bewusstes Loslassen und Abreisen, auch wenn es immer eine Komponente gibt, die sagt: Bleib! Ein bisschen noch… Wieder verwundbar werden durchs Aufbrechen– oder es gerade auch vermeiden. Manchmal weiß ich es nicht genau.
Weiterziehen. Es ist immer 1 Tag und 1 Nacht zu früh um weiterzuziehen. Manchmal scheint es also ob das Aufbrechen erst eine Nähe zulässt, die man sich die Tage zuvor nicht erlaubt hat. Das Weiterziehen fordert weniger Verbindlichkeit und Klarheit als zu bleiben.
Nun werde im am 3. Oktober nicht nur wieder einen Ort, sondern schweren Herzens Indonesien verlassen. Und statt mich um die Basics meiner Planung für Myanmar zu kümmern, sitze ich nun hier und überlege, was ich nach meiner Rückkehr nach Jakarta Anfang November als Nächstes anstellen könnte. Indonesien, das viert-bevölkerungsreichste Land unserer Welt, ein unvorstellbar weitläufiger Archipel mit über 14.000 Inseln, die sich vom östlichsten bis zum westlichsten Punkt über eine Distanz von 5.270 Kilometer – was etwa der Strecke Wien – Teheran entspricht – erstrecken, ist reich an Wundern.
Zu neuen Orten ziehen? Ich sehe meine Notizen mit den zahlreichen Tipps durch: Nach Morotai musst Du unbedingt! Wenn Dir Ketambe gefallen hat, dann musst Du in den Tanjung Puting National Park in Kalimantan. Schau Dir in jeden Fall den Sonnenuntergang dort an. Nirgendwo ist Tauchen besser als im Wakatobi National Park, schon lang bevor Raja Ampat aktuell wurde. Auf diesen Vulkan und zu diesem See musst Du auch!
Oder vielleicht wird es Zeit für ein wenig Sesshaftigkeit? Mehr und mehr fehlt es mir, selbst zu kochen. Ich träume mittlerweile von meinem Küchenmesser und einem Backrohr. Das neue Uni-Jahr beginnt auch wieder, was bedeutet, dass ich bald einen Platz brauche, wo ich ein paar Stunden pro Tag lernen kann, zudem ein vernünftiges WiFi und einen Tisch (!).
Und es gibt Plätze, zu denen ich nochmals möchte. Wo ich mich auf eine jeweils ganz eigene Art Zuhause gefühlt habe. Lose Enden. In Sumatra warten nach der Regenzeit noch mindestens 3 Orte, die dann wieder trockener und nachts nicht zu kühl sind.
Jetzt steht einmal Myanmar am Programm. Ein neues Heft mit vielen leeren Seiten. Und ab November return to Indonesia, mit einem Heft, in dem schon einige Blätter beschrieben sind. Neues oder ein wenig Verweilen 2.0? Ankommmen, bleiben oder weiterziehen?
Nicht nachdenken. Ich werde es wissen.
Elnie N.M.P.D. (@Nona_HitamPahit)
7 Oct 2018I think you should make english or bilingual post since I need to use google translate to help me read your blog 😂I think you need to make a post How i put all the stuff on my backpack as tips and trick packing since it must be very useful for beginner. Keep post new journey \o/
Tina
7 Oct 2018Hi Elnie, I find it incredibly cute, that you take the effort to use Google translate ❤️ Many thanks! In fact, I was indeed considering to translate this post into English. As it‘s more personal & emotional it was easier for me to write it in German, but you absolutely motivate me to do it now 😄😘
Amela
5 Oct 2018Ich verfolge deine Schilderungen ständig. Sie sind für mich Balsam im Alltag in Wien. Als ehemalige Migrantin, habe ich mir immer diese Frage gestellt, warum bleibe ich nicht dort, wo es schön ist, wo vertraute Menschen sind. Damit meine ich meine Erstheimat (Bosnien, Kroatien) Aber dann war da wieder dieses schöne Wien. Schönheit liegt wahrlich im Auge der Betrachtenden. Und sie ist überall. Definitiv. Ich suche und finde ja vor allem die Schönheit in den Menschen. Eine kleine Anmerkung, das Wort “ZigeunerInnentum” würde ich durch NomadInnentum tauschen. Feste Umarmung aus Wien!
Tina
5 Oct 2018Danke, Amela, freut mich riesig. Ja, die Schönheit in den Menschen – sie ist da und ich sehe sie in vielen Gesichtern, die Geschichten erzählen. Und Danke auch für deine Anmerkung – good Point! Ich hab‘s gar nicht bewusst so geschrieben, aber wenn ich jetzt darüber nachdenke, möchte ich es auch gerne so stehenlassen. Ist bei allen Diskussionen, die man dazu führen kann, ein Wort das bei mir sehr positiv besetzt ist und auch ein wenig etwas anderes ausdrückt, als das in der Langzeitreiseszene mittlerweile recht abgenützte Wort der digital nomads, global nomads, etc.
Andrea
3 Oct 2018Nicht nur sehr sehr schön geschrieben, sondern aus meiner Erfahrung auch sehr sehr wahr. Leider hatte ich nie soooo viel Zeit, das “endlose” Bleiben ausprobieren zu können. Mich würde ja reizen herauszufinden, was passiert, wenn man an diesen Traumplätzen wirklich so lange bleibt, bis man so richtig genug davon hat. Wie schnell dieser Zeitpunkt wohl käme? Ich glaube fast, dass dieser schneller käme, als man meint. Auch wenn man noch so wenig Plan hat, will man doch irgendwann etwas Neues, Anderes und vielleicht noch Schöneres erleben – auch wenn man sich dann von Neuem eine Routine für den neuen Ort aufbauen und die aktuelle Comfort Zone verlassen muss. Denn: Geht es beim Nicht-Aufbrechenwollen eigentlich nicht immer auch um das Nicht-Verlassenwollen der Comfort Zone? Fragen über Fragen – ich freue mich jedenfalls riesig auf die Antworten, die du in den nächsten Monaten so finden wirst.
Tina
3 Oct 2018Danke! Und hervorragende Fragen – die wären doch trefflich mit Blick aufs Meer zu diskutieren 😉 Ich werd‘s in jedem Fall ausprobieren, irgendwann & irgendwo. Ich bin mir jedoch recht sicher, dass ich mir sehr bald etwas zu tun finden würde. Nur irgendwo zu bleiben und „nichts“ zu tun, pack ich wahrscheinlich nicht lange.
Dagmar
2 Oct 2018❤