Eines war klar: Reisen in Sumatra ist nicht einfach und man braucht Zeit und Geduld dafür. Die spannenden Plätze sind nicht schnell mal für ein paar Tage erreichbar. Auf das und eine 18-stündige Busfahrt hatte ich mich eingestellt. Was jedoch statt dessen kam, darauf war ich nicht vorbereitet.
10 unverzichtbare Zutaten für ein gutes Road-Movie
1. Schicksalhafte, unabhänderliche Umstände, die die Handlung überhaupt erst in Gang setzen
In fremden Ländern werde ich ab nun besonders aufmerksam zuhören, wenn von Feiertagen die Rede ist. Wenn Ricky mitten in der Hauptsaison sein beliebtes Café für 1 Woche zusperrt, dann sollte das stutzig machen. Höchst stutzig. Als gelernte Österreicherin ist man zahlreiche Feiertage gewöhnt, nicht jedoch, dass davor und danach tagelang alles stillsteht. Auch Personen-Nah- und fernverkehr bleiben prinzipiell aufrecht. In allen islamischen Ländern rund um den Globus wurde am 22. August 2018 das Opferfest gefeiert, es beginnt die Hadjj – oder wie das hier heißt: Lebaran. Und plötzlich geht gar nichts mehr. Selbst die berühmte asiatische Regel, dass irgendwas irgendwie immer geht, gilt an diesen Tagen nicht.
Ich machte mich am 21. August von der kleinen Insel Weh auf den Weg nach Ketambe, etwa 600km weiter südlich. Busticket war organisiert und gekauft. Die Überfuhr mit der Fähre verlief bestens.
Start der Storyline: Am Minibus-Bahnhof war dann Schluss: No. Tidak ada minibus hari. Heute geht kein Bus mehr, morgen wahrscheinlich auch nicht.
2. Auf den Plan tritt die wichtigste Requisite: Ein abenteuerliches Gefährt
In konkreten Fall ein Toyota Starlet, Baujahr 1989 – sah so aus und klang auch so. Sicher etliche Löcher im Auspuff, 240.000 Kilometer unter der rostigen Bodenplatte. Würde bei uns bereits in die Kategorie Oldtimer fallen und in keiner Werkstätte Europas mehr ein Pickerl bekommen.
Bagus – nennen wir ihn so – , der das Busticket für mich organisiert hatte, schlug nach Ausschluss aller anderen Möglichkeiten irgendwann vor, dass er mich mit seinem Auto zumindest nach Takengon auf halber Strecke bringen könnte, und vielleicht könnte ich ja morgen von dort einen Bus bekommen.
Es folgte mein Fehler Nr. 2: ich schätzte das als vernünftigste Möglichkeit ein und so fuhren wir kurz vor 11 Uhr mit einem 29-jährigen Vehikel los, bei dem laufend der zweite Gang heraussprang, und manchmal auch der vierte.
3. Ein Reifenplatzer
Ein gutes Road-Movie kommt an einer Autopanne, die eine Weiterfahrt unmöglich macht, nicht vorüber. So auch hier! Unsere ersten 150km gehen ganz gut voran, danach windet sich die Straße abenteuerlich auf und ab durchs beginnende Hochland von Sumatra.
Ob er das Auto noch länger behalten möchte, frage ich meinen Fahrer. Ja, weil die Maschine so gut ist. Dies galt es auch dann mit extradynamischer Fahrweise und röhrendem Auspuff unter Beweis zu stellen. Mehrmals krachen wir in einer Querrille von der asphaltierten Straße auf Schotter, es geht jedes Mal noch irgendwie gut. Immer wieder wird eine Kurve angeschnitten, die völlig abgefahrenen, glatzerten Reifen machen zahlreiche Korrekturmanöver in Kurvenausgängen nötig. Was soll ich sagen? Kurz vor 17 Uhr kommen wir dann zum letzten Mal von der Straße ab, das Ergebnis ist ein Riß in der Seitenwand des vorderen Reifens.
4. Atmosphärisch stimmige Szenerie: Strömender Regen, Dreck
Strömender Regen. Natürlich kein Reserverad dabei. Bagus montiert irgendwie den Vorderreifen ab und während ich eine Horde Affen in den Bäumen beobachte, frage mich, was jetzt wohl passieren wird. Wir sind 50km vor Takengon und es wird dunkel.
Um es kurz zu machen: ein kleiner Bus nimmt uns, den Reifen und mein Gepäck mit, und wir kommen 3 1/2 Stunden später in Takengon an.
5. Eine komplexe Hauptfigur
Spätestens jetzt kommt keine gute Story ohne mehrschichtige, nicht ganz durchschaubare handelnde Personen aus. In meinem Fall Bagus, aus dem ich nicht schlau werde, der sich unglaublich bemüht eine Lösung für alles zu finden, der mir am Weg vom furchtbaren Drama seiner Familie beim Tsunami erzählt. Hinter dem Steuer schläft er einmal fast ein, während der Fahrt greift er mir immer wieder und zunehmend häufiger ‚beruhigend‘ auf den Oberschenkel. Don’t worry, Tina. Mhm, das Gegenteil ist der Fall.
Anmerkung der Regie: es macht im Aufbau der Geschichte sehr wohl einen Unterschied, ob man alleine oder zu zweit, und ob man alleine als Mann oder als Frau unterwegs ist. Manche Situationen, und die anschließenden Gewissensfragen, ob man etwas sagen soll, und ab dem wievielten Mal etwas nicht mehr als ‚eh ganz normal‘ einzuordnen ist, sind exklusiv für alleinreisende Frauen reserviert. Sorry, guys 😉
6. Eine abgewohnte Bude
Auch das braucht es: ein zwielichtes Motel, eine verfallene Hütte oder ….
Der gesamte Ort Takengon ist aufgrund des Opferfestes voll mit muslimischen Pilgern und Urlaubern. Wie sich herausstellt ist im vermeintlich vorhandenen Quartier – don’t worry, Tina – doch nichts frei. Nach einer weiteren Stunde Quartiersuche mittels Becak (die hiesigen Tuktuks), findet sich in der Wisma Ferdi noch ein letztes freies Zimmer – hurra!
Mein Notquartier ist fensterlos, höchst abgewohnt, unter dem Bett und im Abfluss zwischen den WC-Fliesen Naphtalin-Kugeln. Zähneputzen über der hier üblichen, im Boden eingelassenen Kloschüssel. Vor der Türe sitzen zahlreiche Männer kettenrauchend um ein laut plärrendes TV-Gerät.
Und was ich die ganze Zeit schon befürchtet hatte, trat ebenfalls ein: Um Geld zu sparen hatte sich mein Begleiter vorgestellt, dass wir gemeinsam in einem Zimmer schlafen würden… No way, muss ich mehrmals unmissverständlich klarstellen, ganz, ganz sicher nicht.
Klappe – Tag 1 Ende.
7. Scheinbar sinnlose Längen und Handlungsstränge, die plötzlich Sinn ergeben
Der nächste Tag ist geprägt von der erfolglosen Suche nach einem Minibus zu meinem Ziel und einem offenen Reifengeschäft. Warten ist angesagt. Es regnet, nahezu alles ist geschlossen, Dreck stapelt sich auf den Straßen.
Ich hatte in der schlaflosen Nacht beschlossen, das Beste aus dem Tag machen. Takengon selbst liegt auf 1.300m Höhe im Gayo Highland, traumhafter Kaffee kommt von dort, Bananen und Föhren säumen einen See.
Die Besitzerin eines kleinen Shops kocht uns Tee und Kaffee. Wenig später kommen die Männer der Familie von der Moschee, stellen sich plaudernd zu uns. Der älteste Sohn erklärt sich bereit, uns mit dem Becak herumzuführen. Bei zahlreichen Pausen mit noch zahlreicheren Zigaretten erzählt Bagus jedem, was passiert ist. Mittlerweile kennt wahrscheinlich der halbe Ort die Story vom kaputten Reifen, deshalb fährt aber leider trotzdem kein Bus und die Reifenbuden bleiben geschlossen.
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Was morgen sein wird? Keiner weiß es.
8. Auf den Plan treten weiters: immer wiederkehrende Nebendarsteller, hilfreiche Geister und großartige Menschen
Was in Vergleich zu Mitteleuropa hier an Struktur und Plan zu fehlen scheint, machen schnell und dicht gewebte Netzwerke wett. Alle gerauchten Zigaretten mit vorher fremden Menschen, die zig-mal erzählte Geschichte, das scheinbar untätige Herumstehen miteinander ergeben auf einmal Sinn. Weiterempfehlungen, Tipps, Hinweise und plötzlich steht jemand mit Auto und Reservereifen spätabends vor dem Quartier, der Bagus zu seinem am Straßenrand abgestellten Gefährt bringt. Der Becak-Fahrer, den wir am ersten Abend auf der Straße angehalten hatten, ist am Morgen des dritten Tages auf einmal wieder da, setzt sich zum Frühstück zu uns, und stellt sich als jener „friend“ heraus, den Bagus am Vortag besucht und von ihm eine Jacke geliehen hatte.
Die vife, junge Frau, die wir am ersten Abend nach dem Weg gefragt hatten, und die völlig selbstverständlich zu uns ins Becak gestiegen und eine Stunde lang mit uns herumgekurvt ist, hat mich ebenfalls schwer beeindruckt.
9. Wundersame Wendungen
Am Morgen des dritten Tages geht dann alles ganz schnell. Packen, zum Busbahnhof, ja, möglicherweise gibt es einen Bus nach Ketambe. Um 11 Uhr. Bagus wird kurz vor 10 nervös, wir fahren wieder zum großen Parkplatz, der Fahrer eines weißen Minibusses deutet zur Eile. Ich umarme Bagus zum Abschied und um 10:15 setzt sich tatsächlich der kleine, vollbesetzte Bus in Bewegung.
10. Ein skurriles Happy-End, wo man selbst für die kleinen üblichen Widrigkeiten dankbar ist
Es folgen 300km-Fahrt mit 3 speibenden Kindern auf ärgstens kurvigen Straßen bergauf und bergab. Die indonesische Helene Fischer plärrt durch die Lautsprecher. Erstaunlicherweise raucht keiner im Bus. Der Fahrer fährt sehr besonnen, bremst für Hühner und Katzen und setzt mich nach 8 Stunden direkt vor meinem Quartier ab. Ein wunderschöner Garten mitten im Dschungel. I’m in heaven.
Was lernen wir daraus? Wie bei den meisten Road-Movies ist man froh, dass die G’schicht endlich vorbei ist. Und wie so oft im Leben gibt es die berühmten thin lines: zwischen Weiterkommen und Steckenbleiben, zwischen erträglich und dem bereits sichtbaren Ende der Komfortzone.
Ich hoffe, dass Bagus wieder gut nach Hause gekommen ist, ich genieße die frische Luft hier am Rande des Dschungels und freue mich über alles, das einfach ganz normal klappt.
P.S.: Ich habe lange mit mir gehadert, ob ich die Geschichte schreiben und – mit ein paar Auslassungen – posten soll. Letztlich gehört sowas zum Reisen aber auch dazu, und deshalb steht es nun hier. Freue mich ehrlich über Feedback!
Karin
19 Sep 2018Ja, das ist reisen 🙂 abseits der durchgeplanten / durchorganisierten buchbaren Trips, wo es darum geht, Checkboxes abeghakt zu haben – seen this or that. Da spürt man dann Land & Leute! Love that story.
Gabriele Kuhn
7 Sep 2018Liebste Bettina, endlich kann ich hier auch posten – es hat zuletzt einfach nicht geklappt. Diese Geschichte ist so wunderbar ermutigend und genau deshalb musste sie auch geschrieben werden. Sie zeigt, wie wichtig es manchmal ist, sich auf etwas einzulassen, seinem Bauchgefühl zu vertrauen, während man den Verstand niemals ausschaltet. Solche Erzählungen machen die Welt einfach größer und weiter. Davon abgesehen, finde ich es sehr schön, wie du mit Scheitern und Krisen umgehst – und Momenten, die vielleicht nicht in ein “Sunrise/Sundown & dazwischen eine Kokosnuss schlürfen”-Klischeealbum passen.Oder wie es so schön heißt: “It feels good to be lost in the right direction”
Ich hab’s dir ja schon sehr oft gesagt, wie großartig ich finde, was du da tust und wie sehr ich deinen Mut bewundere. Wenn ich von dir erzähle, dann tu ich das immer mit großem Stolz. Ich denke oft an dich, und während hier schön langsam der Frühherbst einzieht und dieses spezielle Licht alles so stark und intensiv erscheinen lässt, kraxelst du in einem Dschungel herum oder schaust einem Fisch ins Aug’. Und das ist einfach! nur! großartig!
Umarmung, Bussi –
ich freu mich auf deine nächste Geschichte
Dagmar
6 Sep 2018Natürlich musst Du uns an solchen Geschichten auch teilhaben lassen – wir alle möchten doch authentisch mit Dir reisen und keine geschönte Version Deines Reiseberichts lesen.
Ich bin froh, dass Du heil angekommen bist, auch wenn ich mir völlig sicher war, dass Du das schaffst!
Miss U <3
Martin
5 Sep 2018Bettina, congrats & klasse Story!
Axl
31 Aug 2018Dea ex machina
Liebe Tina, danke für deine fast pittoreske Lektüre im Umgang mit Situationen am Rande der Komfortzone.
Es gibt wichtige, nützliche und auch angenehme Tools auf Reisen. Soviel zur „Haben“ Seite. Dein Zugang zu deinem eigenen Road Movie liest sich wie die Kür auf der „Soll“ Seite. Grenzgenial, deine Menschenkenntnis, deine Werkzeuge rasch Flughöhe zu gewinnen und aus der Vogelperspektive den handelnden Personen Raum zu geben. …und auch, zurecht, zu nehmen 😉
Wie sich wohl dein Road Movie aus der Perspektive von Bagus liest? Ich denk retrospektiv sehr positiv.
Das plumpe Happy End, das keinem Regisseur abgenommen werden darf, lehrt einmal mehr kein Yin ohne Yang.
Bisous et A+
Martina P.
31 Aug 2018Eine wunderbare Geschichte … abenteuerlich, toll gemeistert.
Nachdem mein heuriger Reiseradius nur bis ins Mostviertel gereicht hat und mein größtes Abenteuer war, einen störrischen widerspenstigen Hund, der den Beachvolleyballplatz zu seinem idealen Ruheplatz erkoren hat, immer wieder von diesem wegzuzerren, schmarotze ich ein wenig bei diesen Abenteuern mit und schnuppere so die Luft der weiten, weiten Welt 😉
Ich habe mitgefiebert und ein bissl mitgelitten – der Stress der abenteuerlichen Autofahrt hat mich an eine zumindest fahrtechnische abenteuerliche Busfahrt auf Sri Lanka vor vielen Jahren erinnert (die aber trotzdem nicht so viele Herausforderungen und Wendungen beinhaltete).
Viel Erholung und Genuss im paradiesischen Dschungelgarten. Das ist nun wahrlich verdient!
Herzliche Grüße vom Wienerwald
Vivi
25 Aug 2018Oh mommy! Ich bin so stolz auf dich, dass du das gemeistert hast. Ich kann mich wirklich nur zu gut in deine Lage hineinversetzten und ja, ich finde es großartig, dass du das geschrieben hast. Denn es gehört dazu, dass etwas nicht funktioniert beim Reisen. Aber ich finde auch, dass klar durchkommt, dass hilfsbereite Menschen, Glück und Durchhaltevermögen, sowie Mut und Aufrichtigkeit in den miesen Zeiten genauso dazugehören!
I am so proud of you! xxx
Andrea
25 Aug 2018Warum solltest du es nicht posten? Ist ein Teil von deinem Abenteuer – und die geneigte dauerfernwehgeplahte Wienerin dankt es dir und freut sich wieder einen Hauch bewusster über den heimischen Luxus, was dem Fernweh aber keinen Abbruch tut. Nicht, dass diese Fernwehgeplahte kein Verständnis für derlei Reisesorgen hätte: Stichwort „Gestrandet am Rand der australischen Wüste mit einem kaputt bereitgestellten Mietwagen von einem Vermieter, der mitten in der Wüste ernsthaft in Erwägung zieht, den Vertrag zu kündigen“. Im Nachhinein der Stoff, aus dem Legenden sind. In der Situation selbst der Stoff für zahllose Warum-Fragen und wunderbare Blogbeiträge. Happy travels, always!