Lonely Planet schreibt über die Aceh-Region: “over the years, this far-flung corner of the Indonesian archipelago has grabbed headlines for all the wrong reasons. Earthquakes, tsunamis, civil war and sharia law are the main associations people have with Sumatra’s northernmost state.”
Wie reist man in so einer Region? Ich versuche respektvoll und auf leisen Sohlen unterwegs zu sein. Die Schönheiten des Landes nicht nur zu konsumieren (natürlich tut man das als Reisender auch immer), sondern offenen Auges genauer hinzuschauen und das so weit wie möglich ohne zu urteilen. Offen für Begegnungen, komplexe Widersprüche und unterschiedliche Lebensauffassungen. Ich lese und recherchiere meist erst nach dem Schauen und Erleben, versuche ein wenig zu verstehen.
Gelingt das? Bedingt. Immer wieder wird mir bewusst, dass manche Aspekte einer konservativ-islamischen Kultur niemals mit meinem Verständnis von persönlicher Freiheit und Chancengleichheit zusammengehen werden.
Auf meinem Weg nach Pulau Weh (die nördlichste Insel Indonesiens) war ich nur 1 Tag auf kurzem Zwischenstopp in Banda Aceh. Hier ist mein Versuch, ein paar Eindrücke einzufangen.
1000 km Luftlinie und eine ganz andere Welt: Singapur – Jakarta – Banda Aceh: Ich hatte mitgedacht, aber nicht zu Ende gedacht. Bei meiner Abreise um 4:30 morgens von Singapur tauschte ich noch kurzerhand mein buntes Ganesha T-Shirt durch ein dezenteres Oberteil. Mein elefantenköpfiger hinduistischer Lieblingsgott würde bei der Einreise in eine streng islamische Gegend vielleicht nicht so toll ankommen. Schwarzes T-Shirt mit halblangen Ärmeln, schwarze knielange Short, und ab zum Changi Airport.
In der 737-800 auf dem Weg von Jakarta nach Banda Aceh bin ich der einzige orang asing, die einzige Fremde an diesem Nachmittag. Und ich bin auch die einzige Frau, die weder lange Beinbekleidung noch Kopfbedeckung trägt. Die Erkenntnis kommt zu spät, mein Rucksack ist durchgecheckt. Viele Frauen und Mädchen sind sorgfältig geschminkt. Neben mir sitzt ein junges Mädchen, sie nimmt ihren Mut zusammen und startet ein Gespräch. Where I come from? Noch am Boden plaudern wir ein wenig, zwischendurch checkt sie immer wieder ihren Instagram Account. Ihr strahlendes „Oh, this is soo cohool!“ als ich ihr von meiner Reise erzähle, könnte vom Sprachmuster her genauso gut von meiner 14-jährigen Nichte kommen. Ich schätze sie auf ein wenig älter. Wir sehen Filme, das geht sich mit 2 ½ Stunden Flug gut aus.
Ein Mann schräg vor uns verfolgt eine indonesische Filmproduktion über zwei junge muslimische Paare, die in Europa studieren und reisen. Ein Großteil des Streifens spielt in Wien, ich packe es nicht! Immer wieder schiele ich hinüber, lese ungläubig die englischsprachigen Untertitel, in denen vor allem versucht wird, die Hauptdarstellerin vom Tragen eines Kopftuchs zu überzeugen. Das Dilemma ihres Partners konzentriert sich auf Studieren oder regelmäßiges Beten. Leider kann ich nicht berichten, wie der spannende Plot ausgeht.
Als ich meine Nachbarin beim Anflug frage, ob sie jetzt Ferien habe, erzählt sie mir, dass sie gerade mit der Senior High School fertig geworden ist und im Herbst ein Chemistudium beginnen wird. Oh, das habe ich auch studiert – das wird ganz toll werden, freue ich mich für sie. Wo denn? In Banda Aceh. Ich wusste gar nicht, dass es dort eine Uni gibt. Doch, eine islamische halt, sagt sie. Eine kleine, tolle junge Frau. Fröhlich, mutig. Wir beschließen, uns gegenseitig auf Instagram zu folgen, nach der Landung flippt sie kurz durch meine Fotos vergangener Reisen und lacht dann mit einer Entschlossenheit, die 20-jährigen so oft eigen ist: „When I grow up I want to do that as well!” Beim Aussteigen nickt mir ihre Mama, die in der Reihe hinter uns saß kurz zu. Ihren Gesichtsausdruck kann ich nicht ganz deuten.
Mein Quartier in Banda Aceh ist wie so viele Häuser der Stadt neu und blitzsauber. Ich komplettiere mein Kompromiss-Outfit mit einer längeren schwarzen Hose und meinem olivgrünen Schal als lockere Kopfbedeckung.
Die eindrucksvolle Mesjid Raya Baiturrhaman Moschee im Zentrum ist mein erstes Ziel. Am Weg dorthin fällt auf, dass 80% aller Motorradfahrer einen ordentlichen Helm tragen. Viele Frauen fahren, vor den Shops Werbungen für Kleidung, Haarpflege und – erraten – Schminkutensilien. Rund um die Moschee werden Sponge Bob Luftballons verkauft, dazu die üblichen Snacks der kleinen, mobilen Verkaufsstände.
Meine Sandalen werden am Eingang in einem nummerierten Plastiksackerl verwahrt. Der junge Mann reicht mir zudem einen silbergrauen, langen Mantel, hilft beim Zuknöpfen und zieht mir zum Finish noch eine Art Kapuze über den Kopf.
Am weiten Vorplatz rund um die wunderschöne Moschee herrscht buntes Treiben: Familien, die picknicken, Schüler, die mit Büchern am Boden lümmeln und vermutlich Koranverse lernen, Freundinnen die Selfies machen. Es ist laut, Kinder laufen herum, viele kleine Mädchen rasen mit, manche auch ohne Kopfumhang über den weißen Marmorboden.
Es dürften nicht häufig Touristen in Banda Aceh sein, ich falle jedenfalls auf wie ein bunter Hund und bin bald umringt von Frauen und jungen Mädchen, die kichernd Fotos mit mir machen möchten. Handys werden kreischend herumgereicht, es ist sehr lustig. Immer wieder kommen neue Girlies dazu, die zuerst noch schüchtern abseits standen. Mir kommt das insoferne sehr entgegen, da es kein Problem zu sein scheint, selbst Fotos zu schießen. Im Gegensatz zu anderen islamischen Gegenden ist es für die Menschen hier offenbar kein religiöses No Go, fotografiert zu werden. Ich begrüße das.
Ein kurzer Blick auf ein Foto, auf dem auch ich zu sehen bin, eröffnet jedoch eine erschreckende weitere Erklärung für das große Interesse – meine Kapuze sieht aus wie eine mittelalterliche Narrenkappe – kein Wunder, dass sich alle mit dem fool of the day ablichten lassen wollten!
Nach geraumer Zeit ziehe ich weiter Richtung Tsunami Museum. Niemand quatscht mich blöd an, freundliche Auskünfte überall, jeder scheint sich über Kontakt mit Menschen, die woanders herkommen, zu freuen. Die Gedenkstätte liegt etwa 10 Minuten Fußweg entfernt, ich folge Straßenschildern mit einer großen Welle, die Fußwege sind größtenteils neu und tipptopp in Ordnung. Ich komme an einem großen Park vorbei, in dem eine Art Jahrmarkt stattfindet. Um eine Boot-ähnliche Riesenschaukel herrscht großes Gedränge und Gejohle.
Ein Stück weiter dann das Museum, es hat schon geschlossen. Es ist ein ovales zweistöckiges Gebäude, dessen Fassade einem Rattangeflecht ähnelt. Im Inneren führt ein schräger Steg aus dem Obergeschoß über ein Wasserbecken hinunter zum Ausgang. Zwischen großen, runden Lampen, die ins Bassin eingelassen sind, wuseln kleine Trupps von Welsen.
131.000 Tote in Indonesien, 25.000 an einem Tag alleine in Banda Aceh. All ihre Namen sind auf einer großen Wand verewigt. Eine Frau kommt auf mich zu und bittet mich, ein Foto von ihr und ihrem Mann zu machen. Wir plaudern ein wenig Belangloses und verabschieden uns. Ich habe einen Kloß im Hals, es ist ein sehr bedrückender Ort. Auf der anderen Seite des Wasserbeckens fällt mir mit Entsetzen auf, dass zahlreiche größere Fische schief im Wasser liegen und an der Oberfläche verzweifelt nach Luft schnappen. Der Wasserstand ist viel zu niedrig! Ich deute einem Mann im Museum und winke ein paar Burschen heran, sie sollen doch etwas tun. Sie kommen zu mir, schauen kurz ins braune Wasser, lachen leise schulterzuckend, und ziehen wieder ab.
Ich setze mich in ein kleines Amphitheater, die Tränen rinnen mir jetzt herunter. So viele Menschen. Das unfassbare Drama ist hier nah und greifbar. „Do you know what the words on the stage mean?” Meine Freundin von vorhin setzt sich neben mich und findet es wieder sehr lustig, dass ich ohne boyfriend reise. Sie lacht viel während sie mir orang asing über ihr Land erzählt. Sie kommt aus einem Ort etwas weiter nördlich. Ich frage sie, wie alt sie jetzt ist und ob sie sich erinnern kann. Sie rechnet nach und gibt zuerst eine vage Antwort. Dann wird sie ernst. Ja, sagt sie, sie hat auch einen Bruder verloren am 26. Dezember 2004. „We were 7 children, he was my brother number 4. He went to Banda Aceh on that day, to do some business. I still remember when a friend of him called us to tell what happened to him…. it was the worst moment in my whole life.”
Er war ihr Lieblingsbruder. “I only wish that one day I can see him again.”
In der untergehenden Abendsonne gehe ich langsam wieder retour, setze mich zu den Hawker Essensständen und bestelle Ayam Satay – die kleinen Hühnerspießchen mit Erdnuss-Sauce. Es schmeckt köstlich, ich frage den Verkäufer, ob ich etwas Reis dazu haben kann, suche lange nach dem Wort – Nasi? Er haut sich unheimlich ab und zeigt dann auf geflochtene Päckchen in seiner Auslage, “Nasi” sagt er, deutet auf mein Essen und lacht noch mehr. Alles gut, alles schon unter der Erdnuss-Sauce versteckt. Familien rund herum. Mädels in hautengen Jeggings, Babies werden herumgereicht und geknuddelt.
Banda Aceh – if nothing else, you touched my deeply.
Michael
17 Aug 2018Habe erst jetzt diese wunderbare „drop off zone“ entdeckt, – wenn ich darf, würde ich dich gerne- als “Zaungast” ein Stück auf deiner Reise um die Welt begleiten, zumal die nähere Gegend wo du warst, in Kürze zu meinem nächsten Reiseziel gehört. Fesselnde Berichte –schicke Fotos – tolles Abenteuer…liebe Grüße aus der Heimat… enjoy life!
Tina
20 Aug 2018Oh, das freut mich aber sehr! Sehr gerne & liebe Grüße retour in die Heimat!
Andrea
17 Aug 2018👍😘
Dein Bericht mAcht gusto auf mehr 👏
Tina
20 Aug 2018Dankeschön, vielleicht kann ich Euch ja noch auf Ideen bringen 😉
Martin
16 Aug 2018Deeply impressed von Banda Aceh Bericht – Bin schon gespannt auf deine nächsten Berichte
Dagmar
16 Aug 2018❤❤❤
hanniweltweit
16 Aug 2018Hallo Mädl,
Danke für Deine rührende Geschichte zu dieser neu entstandenen
Stadt und den Gefühle der Menschen
Mum