Er hängt in meinem Schlafzimmer. Jeden Morgen sehe ich seinen geraden Rücken, seine bescheiden und zufrieden hängenden Schultern, die aufgekrempelten Hemdsärmel. Die behaarten, großen Füße, auf denen er scheints gut geerdet vor dem kreisrunden Eingang der gemütlichen, fast bieder wirkenden Höhle steht.
Ich mag das Bild von Bilbo Beutlin, das ich 2014 in Matamata gekauft habe. Die Ruhe, die gelassene Heiterkeit, das Zuhause im Halbdunklen, aus dem der Betrachter gleichsam mit Bilbo, der sein Gesicht in die Morgensonne hält, hinaus ins Auenland blickt.
Noch viel mehr jedoch liebe ich die bereits hier spürbare Aufbruchstimmung, ein Elementargefühl das sich seit der Verfilmung von Der Hobbit wohl in unser kollektives Bewusstsein geschrieben hat.
So muss es sein, wenn Du beschließt ins ganz große Abenteuer aufzubrechen. Den Berg hinunter sprinten, mit fliegendem, leichten Gepäck durch Sommerwiesen, den schmalen Pfad vorbei an anderen Bewohnern des Dorfes, glückselig „I’m going on an adventure!“ jubelnd.
So muss sich das anfühlen.
Im deutschen Sprachraum haben wir seit Hape Kerkeling und seinem „Ich bin dann mal weg“ einen 5-Wort-Satz, der ebensolche Sehnsüchte nach Auf-den-Weg-machen und einem Ausklinken aus der Routine zeichnet. Zumindest so muss es sich anfühlen.
Nichts davon scheint mir wahr zu sein. Seit Tagen durchstreife ich die Niederungen der Bürokratie, auf der Suche nach Antworten, Arrangements und einem gewissen Maß an Absicherung für mein Reisen, Leben, Arbeiten und Studieren – wo immer es mich freut und wie lange es mich freut.
Es entsteht jedoch der Eindruck, dass es in unserer Welt diese Aufbrüche nur im kleinen, noch halbwegs überschaubarem Rahmen geben darf. Die Welt ist nicht so groß und weit wie wir uns das daher phantasieren, und wir dürfen uns darin nicht nach Lust und Laune, aus Freude und Vergnügen bewegen. Nicht einmal, wenn wir das Glück haben, in einem Land wie Österreich zu leben, wo es für die meisten von uns keinerlei relevante Reisebeschränkungen für die allermeisten Länder dieser Erde gibt.
Wenn der große Entschluss gefasst, der Plan durchkalkuliert und machbar erscheint, gerade die letzte Silbe von „adventure“ verklungen ist, dann fängt der Spaß erst richtig an. Vor dem echten Regenwald, gibt’s einmal ein Bootcamp im Bürokratie-Dschungel.
Zu den beliebten Basic Challenges zählt der Abschluss einer passenden Reisekrankenversicherung, selbst low budget traveller empfehlen Dir: „look well into that“.
Die Frage einer Auswahl einer Reisekrankenversicherung für mein geplantes Abenteuer stellt sich jedoch gar nicht, weil es de facto nichts auszuwählen gibt. Länger als 62 Tage am Stück weg sein? Zack – 8 von 10 Versicherungen haben die Gruppe verlassen.
Aber hurra, es gibt ja eine 365 Tage Auslandskrankenversicherung. Einziger Haken an der Sache: nach exakt einem Jahr muss die Reise beendet und gegebenenfalls eine neue begonnen werden. Vom Heimatland aus natürlich. Sprich: heimfliegen, neue Versicherung abschließen, neu aufbrechen. Grundgütiger, was denn sonst? Wer ist schon länger als ein Jahr unterwegs?
Ah, da hätten wir ja noch die Versicherungen für die Entsendeten und ihre Familien, wie Botschaftsangestellte oder Expats internationaler Firmen. Und da gibt es sogar eine Einzelpersonenversicherung, für deren Verlängerung nicht der Boden in Wien Schwechat berührt werden muss – das klingt doch vielversprechend! Ah ja, eine Kleinigkeit nur: vollzeitangestellt muss man zum Zeitpunkt des Abschlusses sein. Eh klar, vollzeitangestellt, so gehen ja die meisten auf Weltreise. Oh, und chronische Erkrankungen sind auch nur dann mitversichert, wenn sie nach Abschluss der Versicherung auftreten. Man darf ja wohl noch auf eine spät einsetzende chronisch entzündliche Darmerkrankung oder einen bleibenden Leberschaden hoffen, damit sich die vierstellige Jahresprämie lohnt.
Klar im Vorteil beim Ausfüllen des medizinischen Fragebogens sind jene, die seit vielen Jahren den Kopf in den gesundheitlichen Sand stecken. Keine Arztbesuche, kein Gesundheitsbewusstsein, keine Diagnosen. So einfach ist das. Wurde bei Ihnen je ein Röntgen gemacht? Hallo?! Natürlich. Ja, dann führen Sie das bitte alles an. Da darf man direkt froh sein, nach der Zeit geboren zu sein, als es noch schick war, in Schuhgeschäften die Passgenauigkeit neuer Schuhe mittels Röntgenaufnahmen unter Zuhilfenahme des Pedoskops zu überprüfen. Die Bilder von damals wären sonst möglicherweise auch noch beizulegen.
Wie lange sind Sie unterwegs? Wohin geht die Reise? „Ich weiß es noch nicht“ gehört jedenfalls nicht zu den gültigen Antworten. „I’m going on an adventure“ auch nicht.
Tatsache ist, dass die Vorbereitung dieses großen Abenteuers ein akribisches Abarbeiten eines detaillierten, über 200-Zeilen umfassenden Projektplanes bedeutet: Banktermine, gesundheitliche Checks, Vollmachten, Einlagerung oder Verkauf von Hab und Gut, Impfungen, Visa-Anträge und internationale Dokumente sind die prickelnden Titel meiner To Do Liste. Immer wieder treffe ich großartige Menschen, die mich mit Freude und engagiert unterstützen wollten und dann selbst an bürokratische Grenzen stoßen. Die große Freiheit ist in Antragsformularen und zwischen Sonderbestimmungen nicht vorgesehen.
Auf eine besonders raffinierte bürokratische Sackgasse traf ich just beim Verkehrsamt. Um in the middle of nowhere mobil zu sein, und da und dort einmal ein Motorrad ausleihen zu können, hatte ich beschlossen, mit 49 noch den A-Führerschein zu machen. (Projektplan Zeile 37) „Du feierst Dich jetzt schon seit einer Stunde selbst“ hatte meine Tochter am Abend meiner gelungenen Prüfung schon etwas erschöpft ob der Freude ihrer Mum angemerkt. Unglaublich, aber wahr, ich habe tatsächlich den Schein in der Tasche. Doch halt! In Österreich gibt es seit 2013 ja eine Mehrphasen-Ausbildung, die beinhaltet, dass innerhalb von 14 Monaten nach Erteilen der Lenkberechtigung noch ein zusätzliches Fahrsicherheits-Training und eine Perfektionsfahrt zu absolvieren sind. Genau diese beiden Punkte gehen sich für mich nun zeitlich leider nicht mehr aus.
Um zu eruieren, was in diesem Fall nun zu tun ist, schneie ich an einem Freitag, 10 Minuten vor 12 am Verkehrsamt ein. Ok, mein Fehler, man kann das Schicksal auch bewusst provozieren. Ich schildere der zuständigen Beamtin meine Situation und versuche herauszufinden, wie denn das mit Nachfristen oder einer möglichen Verlängerung wäre? Mit der Antwort „Da muss ich mir dann was einfallen lassen“ kann ich nur bedingt etwas anfangen, weshalb ich nochmals nachhake, ob ich eventuell jetzt schon bekannt geben könne, dass ich in 14 Monaten möglicherweise nicht in Österreich wäre. „Nein. Wir arbeiten nicht in die Zukunft.“ Was im Versäumnisfall denn passieren würde, möchte ich gerne wissen. „Wenn ich einen Brief an Sie nicht zustellen kann, dann haben Sie ihn nicht bekommen und dann kommt er eh zu uns retour.“ Ich verstehe das als Aufforderung, mich jetzt bitte vom Acker zu machen. Ein letzter Versuch: „Dann würde ich mich bei Ihnen melden, wenn ich wieder da bin, damit ich die beiden Trainings nachmachen kann. Ist das in Ordnung?“ Die Antwort könnte nicht klarer sein: „Sie brauchen si‘ net möd‘n.“ Wir wünschen uns noch ein schönes Wochenende. Meinen Projektplan Zeile 37b versehe ich jetzt mit einem Fragzeichen.
Und denke an Bilbo Beutlin, die Zwerge, Thorin Oakenshield und Gandalf, die wohl aus gutem Grund ihre Expedition auf dem Rücken von Pferden unternommen haben.
Sieglinde
25 Oct 2018Lb. Bettina,
Bin a bissal auf Facebook herumgesurft, das ich eigentlich nicht mehr wirklich nutze. Hab Namen eingegeben von früher, Freunde und Bekannte. Und dann führte mich Dein Profil auf diesen Blog und ich musste zwei Mal gucken: Ist das wirklich DIE Bettina, die ich via Dalia kannte? Die Mama von Vivi?
OMG! Tatsächlich … ich finde das sooooooo toll, Deinen Mut einfach loszugehen, obwohl “einfach” wirds wohl nicht gewesen sein, könnte ich mir vorstellen. Würde mich echt freuen über ein Mail und wie Du dieses “Einfach” geschafft hast, falls Du das auch möchtest.
In jedem Fall wünsche ich Dir eine wundervolle Reise, Inspiration, Mut und die vielen kleinen großen Erkenntnisse im Leben, die uns erkennen lassen, was für unseren Lebensweg wichtig ist.
Alles Liebe und tiefe Hochachtung vor Deinem Abenteuer!
Sieglinde
Tina
5 Nov 2018Liebe Sieglinde, yes, it’s me :-)! Danke für Deinen Kommentar und die Wünsche – ich meld mich sehr gerne per mail bei Dir! Alles Liebe Tina
Carola Engler
30 Jul 2018Wir arbeiten nicht in die Zukunft … herrlich, so nimmst Du noch ein gewaltiges Stück “Österreichisch” mit … *ggg*